Lesung: Mein Sommer mit den Flüchtlingen
15:00–14:59
Lesung mit Beatrice Bourcier: "Mein Sommer mit den Flüchtlingen" - Der bewegende Bericht einer freiwilligen Flüchtlingshelferin. Am 3.11. um 15h im kafi-restaurant Mümpfeli.
Textauszug:
Ich habe mich natürlich schon gefragt, warum ich eigentlich plötzlich so einen auf „Gutmensch“, auf kriegsmüde Hilfsaktivistin, auf hungrige Samariterin mache. Die Antwort ist aber eigentlich so einfach. Das Flüchtlingsdrama ist jetzt nämlich nicht mehr an der Wohnzimmerwand im Fernsehen, sondern vor meiner eigenen Haustür angekommen. In Form einer Erstaufnahme-Einrichtung für 200 Flüchtlinge. Es geht jetzt um mein Dorf, um meine Familie, meine Kinder. Es geht darum, sich dafür zu interessieren. Jetzt kann ich nicht mehr das Programm umschalten. Jetzt sind sie da. Ich finde, wir haben die humanitäre Verantwortung, eine Willkommenskultur aufzubauen, um diesen Menschen ein Minimum an Würde wiederzugeben. Wir Deutschen, die Nachfahren von Zuwanderern. Und deswegen wurde bei mir in diesem Sommer aus Neugier Betroffenheit. Aus Betroffenheit wurde Mitwissen.
Aus Mitwissen wurde aufrichtiges Mitgefühl und tiefste Verbundenheit. Aus Verbundenheit wurde ein Versprechen.
Das Versprechen an „meine“ Flüchtlinge, möglichst vielen Menschen ihre Geschichten zu erzählen.
An meinem ersten Tag am Parkplatz vor dem Flüchtlingsheim habe ich die junge Mutter Noha aus Syrien kennengelernt, sie musste ihr Kind brennen sehen. Ihr Syrien brennt, ihre Heimat stirbt. Peter ist 27 Jahre alt und kommt aus Nigeria. Er ist der einzige Sohn seiner Eltern. Naja, er war es. Er musste nämlich mit ansehen, wie seine Eltern von der Boko Haram getötet wurden. Und sie haben das Haus der Familie angezündet. Weil sie Christen waren. Da ist Peter gerannt. Seine Flucht, eine monatelange Odyssee. In Lybien ist er tagelang durch die Wüste gelaufen, „no water, no food, just god“. Anas, Biochemiker aus Syrien, ist auf der Flucht in Ungarn von Polizisten gefoltert worden. Eine deutsche Grenzpolizistin schenkte ihm den Glauben wieder, indem sie die Waffen ablegte, um einer völlig verängstigten Gruppe von Flüchtlingen zu signalisieren: „Keine Angst, Refugees welcome. You are safe“.
Dieses Buch soll den Leser mitnehmen auf meine wundersame Reise durch 3 Kontinente, 18 Nationen, mein Dorf und meine eigene Familie in diesem Jahrhundertsommer der Superlative. Es soll einen kleinen bescheidenen Beitrag dazu leisten, eine große, dramatische humanitäre Katastrophe zu erzählen.
Und während ich hoffe, dass ich mein Versprechen an die Flüchtlinge aus meinem Dorf halten kann, denke ich an die letzten Worte von Ahmad: "Vielen Dank für Alles, Madame Beatrice. Es tut mir so leid und ich entschuldige mich, dass wir hier sind."